Böse Engel. Roman by Mary Flanagan

Böse Engel. Roman by Mary Flanagan

Autor:Mary Flanagan [Flanagan, Mary]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783105616895
Herausgeber: FISCHER Digital


Die ganze Zeit übernahm Tony meine Pflege. Niemand außer Nora hat sich je so um mich gekümmert: Er frottierte mich ab, half mir aufs Klo und wieder zurück, wusch mir das Haar, fütterte mich mit winzigen Löffeln Fleischbrühe, rannte zu Yona Shimmel, um den Joghurt zu holen, nach dem mich verlangte, besorgte Percodan von einem Dealer auf der Grand Street. Wenn er nicht bei der Arbeit war, schenkte er mir seine ganze Aufmerksamkeit, las mir vor (ich bekam Kopfschmerzen, sobald ich selbst zu lesen versuchte) oder er saß einfach am Bett und hielt meine Hand.

Janice besuchte uns in ihrem besten Mantel und brachte Bananenkuchen und Reese an der Leine mit. Sie beruhigte mich, daß es dem armen Otis gutgehe, den sie der Bequemlichkeit halber zu sich ins Untergeschoß geholt hatte.

»Ich arbeite an einer Büste von ihm in doppelter Lebensgröße«, keuchte sie, »mit einer kleinen Halskrause aus Federn, wie die Seraphim auf alten Gemälden.«

Steve erschien und erzählte uns von einem Film über Umweltgifte, den er gerade gesehen hatte. Eine Dokumentation, aber sehr ästhetisch und gespenstisch, von verschmutzten Flüssen bis hin zu chemischer Kriegsführung. Eine krankhafte Welt, in der nichts vor Ansteckung sicher war. Er war ziemlich beunruhigt und gestand, daß er sich richtig gefürchtet habe. Janice meinte, ihrer Ansicht nach sei Reeses Lungenkrankheit auf die dreckige New Yorker Luft zurückzuführen, die zu atmen wir alle gezwungen wären und die wir auch noch mit unseren Steuern bezahlen durften.

Hadley kam meist abends vor der Arbeit (ich glaube, sie hat dafür aufs Abendessen verzichtet) in Begleitung von Star oder Maja vorbei. Sie schenkte mir eine von innen beleuchtbare Madonna mit braunem Gesicht und bunten Gewändern, die wir in die Nische mit den Spinnweben über dem Bett stellten. Außerdem brachten die drei eine kleine Kugel Opium mit, die die wunderbarste Sofortwirkung auf meinen Schüttelfrost hatte. Wir waren überzeugt, daß Drogen die besten Heilmittel sind. Schlaflosigkeit? Nimm Heroin. Keine Energie? Amphetamin. Drogen taten gut.

Wir hörten uns Smokey Robinson an und John Coltrane, immer wieder dieselben Stücke: »Bad Girl«, »Tears of a Clown«. Ich dachte an die Franklin Street, wie ich dort mit Travis und Frank auf dem knarrenden Holzfußboden getanzt hatte, und auf einmal wünschte ich mir, von allen alleingelassen zu werden.

Ich hatte viel an früher gedacht, in den Stunden, wenn ich allein dalag und darauf wartete, daß die Hustenanfälle und das Frösteln aufhörten und das Fieber anfing, wenn ich beobachtete, wie das Licht schwächer wurde und das Zimmer sich verdunkelte. Ich dachte an Travis und Eva, an Vinnie und Denise und die Stiefbrüder, die zu sehen ich mich weigerte. Ich dachte an Frank. Ich dachte an Tante Bernie.

Sie war jetzt seit vier Jahren in Kellvale, allerdings nicht mehr in der Nähe ihrer Schwester, denn Tante Bea war verlegt worden, auf die Psychiatrie, wie man das wohl nennt. Sie war verrückt, aber bei bester Gesundheit, während Tante Bernie schwer atmete und mit ihren geschwollenen Knien herumhumpelte, während ihr gnadenlos klares Gehirn sich mit vergangenem Unrecht beschäftigte. Ich schickte ihr ab und zu Geld. Sie hatte aufgehört,



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.